Abkürzungen und ihre Auflösung
Für den editorischen Umgang mit abgekürzt geschriebenen oder gedruckten Wörtern stehen mehrere Ansätze zur Wahl, die in Abhängigkeit vom edierten Text, vom editorischen Paradigma oder von der Erschließungstiefe angewandt werden können. Während in einem modernen Brief bestimmte, auch heute noch gängige und allgemein verständliche Abkürzungen ohne Weiteres auch im edierten Text in Originalform belassen werden könnten (Hr. Müller) und deren Auflösung gar als ungebührlicher Eingriff in die vom Verfasser intendierte Textgestalt aufgefasst werden könnte, könnte in einer Edition kursiv geschriebener und massiv abgekürzter humanistischer Notizbücher eine Auflösung aller Abbreviaturen ohne explizite Dokumentation der Kürzungszeichen als legitim erscheinen, während eine auch paläographisch ausgerichtete Edition eines kalligraphisch geschriebenen mittelalterlichen Codex sowohl sorgfältig Kürzungszeichen transkribieren als auch die Abbreviaturen zu Lesezwecken auflösen könnte.
Im Interesse der Explizität und Transparenz der Edition empfehlen wir einen Ansatz zu wählen, bei dem der Befund in der historischen Quelle nicht stillschweigend verändert wird. Das bedeutet konkret, dass von einer Auflösung von Abkürzungen Abstand genommen werden sollte, bei der weder die Originalform beibehalten noch durch Markup kenntlich gemacht würde, dass es sich um eine Auflösung handelt. Es ist ausdrücklich möglich, Abkürzungen ohne Dokumentation der Originalabkürzung aufzulösen, nur sollte die Auflösung als solche klar markiert sein. Andererseits – wenn keine Auflösung erfolgt – ist die Markierung der (in Originalform beibehaltenen) Abkürzung für den Herausgeber optional.
Somit ergeben sich praktisch vier verschiedene Möglichkeiten:
- Abkürzungen werden in Originalform belassen, nicht aufgelöst und auch nicht als solche gekennzeichnet. Dies kann als sinnvoll erscheinen, wenn Abkürzungen als solche klar erkennbar und verständlich sind und wenn sie als intendierter Bestandteil der Textgestalt betrachtet werden.
- Abkürzungen werden in Originalform belassen und nicht aufgelöst, werden aber als solche markiert. Dieser Ansatz kann etwa dann sinnvoll sein, wenn die Auflösung der Abkürzung unklar ist, gleichzeitig aber editorisch explizit gemacht werden soll, dass eine Abkürzung vorliegt.
- Abkürzungen werden nicht in Originalform transkribiert, sondern nur aufgelöst. Eine Markierung der Auflösung ist dabei geboten, um keinen verzerrten Eindruck vom Textbefund in der Quelle zu vermitteln.
- Abkürzungen werden in Originalform transkribiert und gleichzeitig aufgelöst. Da sich der Text an der betroffenen Stelle graphartig in Parallelpfade teilt, ist entsprechendes Markup schon rein technisch unerlässlich.